Die erste Entscheidung in Dänemark mit Bezug auf das im Dezember 2021 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern lässt nicht gerade hoffen.
Eine Angestellte in einer Gemeinde in Dänemark veröffentlichte über die Presse im Jahr 2017 systematische Benachteiligungen von hilfsbedürftigen Menschen. Der Journalist Ulrik Dahlin von der Zeitschrift „Information“ veröffentlichte den Fall 2017 mit den folgenden wesentlichen Fakten:
Vivien J. war in der Gemeinde Frederiksberg in Dänemark als Ergotherapeutin angestellt. Im November 2015 begann Sie ihre Tätigkeit als Teil des Rehabilitationsteams. Ihre Aufgabe war es in einem Team über Frühverrentungen von schwer erkrankten Menschen mitzuentscheiden. Nach ihren Aussagen gegenüber Dahlin war es das Ziel der zuständigen Behörde Anträge auf Frühverrentungen und Sozialleistungen systematisch abzulehnen, um Kosten von ca. 8.000 DKK pro Person zu sparen. Die betroffenen Personen wurden entgegen ihren körperlichen oder geistigen Möglichkeiten in Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen gesteckt. Ihnen wurden weitere Untersuchungen und Zertifizierungslehrgänge etc. angeboten. So wurde bspw. einer 64-jährige schwer erkrankten Patientin eine zweijährige Berufsvorbereitungsmaßnahme vermittelt, anstelle ihr die Frührente zu bewilligen.
Vivien nahm die Entscheidungen nicht nur für die Fälle wahr, für die sie zuständig war, sondern auch die Fälle, die im Team besprochen wurden. So erfuhr sie in dem Zeitraum 2015 bis 2016 über 89 Fälle, in denen die Behörde die Anträge ablehnte, obwohl sogar die zuständigen Ärzte eine Weiterbeschäftigung für nicht möglich hielten. Sie missbilligte die Praxis und monierte das Vorgehen gegenüber Ihren Vorgesetzten. Ihr wurde gesagt, sie solle sich nicht einmischen. Ihre eingelegten Berufungen gegen ergangene Bescheide wurden ignoriert und ihr wurde Inkompetenz vorgeworfen. Letztendlich wurde ihr nach Meinungsverschiedenheiten nach nur sechs Monaten im Rehabilitationsteam im März 2016 gekündigt.
Aufgrund der Repressalien durch ihren Arbeitsgeber nahm Vivien die Informationen von 89 Patientenakten mit und gab diese an die Presse vertraulich weiter.
Daraufhin wies die Behörde alle Anschuldigungen von sich und erstattete Anzeige wegen Weitergabe und Veröffentlichung von geheimen und sensiblen Informationen. Das Gericht entschied in der ersten Instanz gegen Vivien und bestrafte Vivien nicht nur mit einem Bußgeld, sie hatte auch die Verfahrenskosten und ihre Anwaltskosten zu tragen.
Vivien legte Berufung ein. Der oberste Gerichtshof bestätigte am 13. Januar 2022 (Urteil in der Rechtssache 94/2021) die Entscheidung des Landgerichts. Der zuständige Richter sah in der Mitnahme und Aufbewahrung dieser hochsensiblen Patientendaten einen Verstoß gegen Artikel 155 des dänischen Strafgesetzbuches begründet. Wegen der Weitergabe der Daten an Dahlin sah das Gericht eine Schuldfähigkeit nach Artikel 152e Absatz 2 des Strafgesetzbuches gegeben.
Der oberste Gerichtshof stellte im Urteil fest, dass die Weitergabe der sensiblen Informationen über 89 Bürgern nicht das Interesse der Hinweisgeberin rechtfertigte, Unregelmäßigkeiten in der Fallbearbeitung der Gemeinde aufzudecken. Der Umstand, dass sie die hochsensiblen Patientendaten mit nach Hause nahm, sie lange Zeit dort aufbewahrte und an die Presse weitergab, sei strafbar. Der Wunsch nach Aufdeckung der Missstände hätte auch anders erfüllt werden können. Auch das neue Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern könne nicht zur Straffreiheit führen.
Vivien rechtfertigte die Weitergabe damit, dass sie die Daten an den Journalisten im guten Glauben und vertraulich weitergegeben hätte. Dies tat sie, nachdem sie erfolglos intern gemeldet hatte und Repressalien ausgesetzt war. Sie hatte sachliche Gründe und handelte nicht aus persönlichen Gründen. Die personenbezogenen Daten der Betroffenen seien niemals veröffentlicht worden, so sei der Schaden für die Betroffenen minimal.
Das Aufdecken der Missstände sei vom öffentlichen Interesse gemäß Artikel 152a Absatz 2 des Strafgesetzbuchen gewesen. Auch das neue Gesetz zum Schutz von Whistleblowern gewährt eine Straffreiheit, sofern Missstände vom öffentlichen Interesse aufgedeckt werden.
Der Presseartikel von Dahlin führte zu einer öffentlichen Debatte und einer Vorformulierung der Gesetzgebung im Jahre 2018.
Der Staatsanwalt trug vor, dass die Bürger darauf vertrauen müssen, dass ihre sensiblen Daten wie Diagnosen und Krankheitszustände bei der Gemeinde vertraulich behandelt werden. Das Interesse am Schutz dieser Daten überwiege das Interesse der freien Meinungsäußerung. Vivien hätte nach Meinung der Staatsanwaltschaft allgemein äußern und Beispiele für ihr bekannten Fälle nennen können. Sie hätte die Informationen auch anonymisieren oder die Zustimmung der Bürger vorher einholen können. Die Hinweisgeberin verstieß auch gegen § 155 Strafgesetzbuch, indem sie die vertraulichen Akten von 89 Bürgern Zuhause über einen langen Zeitraum aufbewahrte. Sie sei zudem nur an der Hälfte der Fälle als Bearbeiterin beteiligt gewesen.
Das neue Whistleblower Gesetz könne nicht zu einem anderen Ergebnis führen, so die Staatsanwaltschaft. Die Beurteilung des Gesetzes führe zum selben Ergebnis wie die Beurteilung nach § 152e Absatz 2 Strafgesetzbuch. Das oberste Gericht stellte fest:
Abschnitt 7 des neuen Whistleblowerschutzgesetzes sieht kurz dargestellt Straffreiheit vor, wenn der Hinweisgeber berechtigte Gründe zur Annahme hatte, dass die Offenlegung notwendig war, um einen Verstoß aufzudecken.
Im Ergebnis stellen wir fest, dass die schwammigen Begriffe wie „notwendig“ und „vom öffentlichen Interesse“ erklärungsbedürftig sind. Letztendlich entscheidet das Gericht über die Notwendigkeit. Hinweisgeber sind daher angehalten sensible Fälle anonymisiert und anonym zu melden. Im Fall Vivien hatten mehrere Mitarbeiter in der Gemeinde Zugriff auf die Fälle gehabt. Hätte die Gemeinde die Möglichkeit geschaffen, Meldungen anonym abzugeben, hätte Vivien wahrscheinlich ihren Job nicht verloren. Hätte eine übergeordnete Stelle in der Stadtverwaltung ebenfalls eine anonyme Meldestelle eingerichtet, wäre Vivien besser beraten gewesen, die Fälle beispielhaft anonymisiert auch dort zu melden. So wäre der Druck auf die Behörden gewachsen, die Fallbearbeitung zu überdenken und die Hinweisgeberin wäre womöglich schadensfrei ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit nachgekommen.
Lesen Sie hier über die zahlreichen Funktionen und Vorteile der Smart Integrity Platform.
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